Boris von Brauchitsch

Der Schatten des Führers

Was für die einen die höchsten Berggipfel, waren für Walter Frentz die tiefsten Schluchten. Als Kanute begeisterte er sich für die wilden Wasser noch nie zuvor befahrener Gebirgstäler, begann seine Naturerlebnisse zu filmen, lernte über seinen Sportskameraden Albert Speer die Regisseurin Leni Riefenstahl kennen, wurde ihr wichtigster Kameramann und fand sich bald schon im engsten Umfeld Adolf Hitlers wieder. Offiziell zuständig für Filmdokumentationen aus dem Führerhauptquartier, entstanden parallel überwiegend farbige Fotos, die nicht für die Veröffentlichung bestimmt waren, sondern nur intern kursierten. Das Ambiente des Obersalzbergs zwischen Blondie und Mussolini, die Atmosphäre in den Hauptquartieren, die Waffenproduktionsstätten, die Zwangsarbeit und die Spuren des Krieges. Walter Frentz hat ein atemberaubendes Archiv hinterlassen, aus dem drei Kapitel besonders herausragen: Die Bilder für seinen Film „Hände am Werk“, noch entstanden unter dem Eindruck der Neuen Sachlichkeit, die rund tausend Köpfe umfassende Galerie der Nazi-Täter, die er in einem improvisierten Studio im Führerhauptquartier aufnahm, und die fast vedutenhaft romantischen Panoramen zerstörter deutscher Städte. Der Bildband zeigt zum großen Teil bislang unveröffentlichte Fotografien und wirft außergewöhnliche Schlaglichter auf die Mentalität der führenden Nationalsozialisten, den Umgang mit dem Krieg und ihren wachsenden Realitätsverlust.

»Für gewöhnlich sorgen alle Bezüge zu der historischen Erscheinung Adolf Hitlers für Aufregung. Dabei reicht die Bandbreite von gemäßigt bis hysterisch, wie den Medien immer wieder zu entnehmen ist. Daran ist abzulesen, dass weiter aufgearbeitet werden muss. Um dem Thema angemessen zu begegnen, bedarf es einer offenen und ehrlichen Auseinandersetzung. Ein abgeklärter Umgang würde helfen, die Propagandisten mit ihren Nazivergleichen als das bloßzustellen, was sie sind, und zugleich ein tiefes Bewusstsein dafür zu schaffen, dass auch heute keine Demokratie vor einer Zersetzung durch zerstörerische Kräfte geschützt sein kann, sondern kontinuierlich an ihrer Stärke gearbeitet werden muss. „Der Schatten des Führers“ dient einer solchen Aufarbeitung: in Bildern des hoch talentierten Filmemachers und Fotografen Walter Frentz (1907–2004).« --- Photographie, 5/2017

Edition Braus, Berlin 2017 - ISBN 978-3862281589

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